Montag, 15. August 2011

Eine kritische Außenbetrachtung der Ultra-Bewegung

Wie immer, nachdem die Print-Ausgabe des Leuchtturms erschienen ist, stellen wir verschiedene Artikel aus der aktuellen Ausgabe online. Diesmal wollen wir euch einen Text aus Leuchtturm Nr. 9, der die Ultra-Bewegung kritisch unter die Lupe nimmt, nicht vorenthalten.
Dabei wird zum Beispiel auf das Gesangsgut oder das elitäre Auftreten der Ultra-Gruppierungen eingegangen. Außerdem wird der Aspekt "Gewalt im und um das Stadion" genauer beleuchtet.

Eine kritische Außenbetrachtung der Ultra-Bewegung
von Carsten Pilger

Wer sich als Außenstehender der Ultra-Bewegung nähert, muss sich vielen Vorwürfen ausgesetzt sehen: Er habe nicht den nötigen Einblick in Gesetzmäßigkeiten der Szene, er wolle Ultras die Daseinsberechtigung absprechen oder seine Begrifflichkeiten besäßen keine Tiefenschärfe. Das ist ein Problem der Debatte über die Ultras - Inhalte werden der Form oder der Absicht untergeordnet. Dieser Text soll keine Beschreibung, keine wissenschaftliche Auseinandersetzung sein, sondern ein Diskussionsanstoß.

Was stört viele „Normalos“ an heimischen Ultra-Gruppierungen?

1.) Gesangsgut

Die Lieder der Ultras haben einen speziellen Anspruch: Den der Originalität, die alte Lieder nicht mehr bieten können, weil sie in jedem Stadion gesungen werden und durch den Austausch von Vereinsnamen und Vereinsfarben schon seit den 70ern von jeder Szene verwendet wurden.
Das ist an sich noch kein Problem. Problematisch wird es, sobald innerhalb eines Liedes, das seit mehr als zehn Minuten am Stück gesungen wird, die Stimmen langsam verklingen und nur alle Ultras (und die, die sich für welche halten) am vermeintlich kreativeren Support festhalten.
Zunächst: Stimmung ist keine Bringschuld der Ultras gegenüber allen anderen Fans und der Mannschaft. Jeder kann die Initialzündung zur Anfeuerung geben, also auch diejenigen, die sich von den Ultras übertönt fühlen. Davon Gebrauch zu machen, wird allerdings oft dadurch erschwert, dass Ultras nur allzu oft die Impulse, die der Block liefert, scheinbar überhören. Das mag daran liegen, dass so mancher Liedtext nicht kreativ ist, wie es sich viele Ultras erhoffen - der Führungsanspruch auf dem Gebiet des Supports wiegt aber wohl noch stärker. Dabei ist gerade beim Anfeuern der Mannschaft, dem kreativen Moment des gesamten Fußballs, eine zu feste Hierarchie im Block tödlich für das Entstehen spontaner Gesänge. Bei allen Verdiensten, die sich Ultras in mühevoller Ausarbeitung von vielstrophigen Liedern gemacht haben: Wer meint, den Fan-Gesang im stillen Kämmerlein ausarbeiten und eins zu eins ins Stadion übertragen zu können, verkennt zwei Sachen, nämlich das Potenzial eines gefüllten Fanblocks und das Wesen der Fan-Gesänge.

2.) Elitäres Auftreten

Viele Fans fühlen sich durch das Auftreten von Ultras ausgegrenzt. Eigens angefertigte T-Shirts, Jogginghose und Bauchtasche sind keine Klischees, sondern die Uniform, in der viele - vor allem jüngere Ultras - das Wochenende gestalten. Bedingt durch Bilder, die von Fernsehen und Zeitung von „gewaltbereiten Fußballfans“ verbreitet werden, setzen sich bestimmte Vorurteile beim Betrachter dieser Aufmachung fest (zum Gewaltaspekt komme ich später). Das ist an und für sich normal und soziologisch bereits weit untersucht. Gruppen suchen sich gemeinsame Erkennungsmerkmale, um als Gemeinschaft stärker gefestigt zu sein. Und welcher Fanclub lässt nicht eigene T-Shirts mit dem Vereinswappen drucken?
Bei den Ultras kommt der Aspekt hinzu, dass es sich um eine Gruppe innerhalb der heterogenen Gruppe der Fußballfans handelt, die optisch im Zweifelsfall mehr Ähnlichkeiten mit den Ultra-Gruppierungen anderer Teams besitzt, als mit den Kutten oder Trikot-Fans der eigenen Mannschaft. An dieser Stelle kann man sich fragen, ob nicht das optische Auftreten mancher Jung-Ultras eher an der aktuellen Mode in deutschen Support-Blöcken orientiert ist, als an einer Huldigung der Mannschaft in den Farben des Vereins oder der Stadt. Wer nicht mit der Mode mitzieht, wird schon ein Stück weit ausgegrenzt. Auch diesen Mechanismus kennt man.
Hier ist es falsch, sowohl die eine, als auch die andere Seite zu verdammen. Jung-Ultras sollten sich des Öfteren fragen, ob sie nicht schon so herumlaufen, dass mit anderen Buttons an der Brusttasche genauso gut ein Ultra des Erzrivalen dieses Outfit verwenden könnte. Ebenso muss das Verständnis für Fans wachsen, die ihr Fan-Tum im althergebrachten Stil mit Trikot und Vereinsschal ausleben.
Die Fans in Trikot oder Kutte sollten sich allerdings ebenso fragen, ob sie nicht selbst manchmal den Umgang mit Leuten meiden, die anders als sie gekleidet sind. Ob F-Block-Gänger in zivil, D-Block-Kutte oder E-Block-Ultra: Alle sind FCS-Fans.

3.) Gewalt im und um das Stadion

An der Frage, ob Gewalt ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung mit gegnerischen Fans oder der Polizei ist, scheiden sich die Geister. Tatsächlich wird die Debatte bislang aber nicht öffentlich geführt, was sich gut am Beispiel eines der führenden deutschen Ultra-Fanzines, „Blickfang Ultra“, zeigt: Schon diverse Male angekündigt, hat es die Diskussion über die Gewalt nicht als thematischer Schwerpunkt in eine der Ausgaben geschafft. Stattdessen lesen sich viele Berichte von Derbys weiterhin als reine Aufzählungen der Ereignisse des Wochenendes - wer die bessere Choreographie hat, wer lauter und durchgängiger gesungen hat und wer auf der Straße den Ton angab und mehr gegnerisches Material „zockte“.
Davon abgesehen, dass die Grenze zwischen jugendlichem „Fahnenklau“ wie in Ferienfreizeiten und gefährlichem Raub hier verwischt, ist die Haltung vieler Ultra-Gruppierungen fast schon bigott: In Kampagnen setzt man sich gegen die weitere Kriminalisierung aller Fußballfans ein, liefert aber Medien, Politik und Polizei ständig neue Gründe, Fußballfans unter einen permanenten Tatverdacht zu stellen. So gut die Argumente von Initiativen wie „Pyrotechnik legalisieren!“ auch sein mögen und so differenziert ihre Vertreter auftreten und beteuern, dass die Sicherheit durch einen sachgerechten Umgang mit Feuerwerkskörpern gewährleistet sei: Wer glaubt das schon, wenn diesselben Gruppen, die sich in der Kampagne engagieren, am Wochenende selbst die gewalttätige Auseinandersetzung mit dem Gegner suchen?
Letztlich leidet nicht nur das Image aller Fußballfans und damit ihre Glaubwürdigkeit sowie die Möglichkeit, via Öffentlichkeit politischen Druck auf Verband und Vereinsvorstände auszuüben. Es leidet vor allem die Akzeptanz unter vielen Fußballfans, die sich eben nicht als Ultras sehen. Dabei geht viel Potenzial verloren.
Eine offene und vor allem breite Debatte über Gewalt ist längst notwendig geworden. Durch viele überregionale Bündnisse und Fan-Initiativen bestehen die Diskussionskanäle längst.

Zum Schluss bleibt zu sagen, dass niemand den Königsweg kennt, um die Ultra-Bewegung allen Fans nahe zu bringen. Ich selbst schon gar nicht. Zumindest bleibt die Hoffnung, dass über offenere Diskussionen und eine selbstkritische Reflexion innerhalb der Ultra-Szene, nicht nur über den Auftritt vom letzten Wochenende, viel Akzeptanz geschaffen werden kann - auf beiden Seiten.

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