oder Die "Primadonna" entzaubert
Für das Protokoll beginne ich mit einem Kommentar eines Users zum letzten Beitrag der WM-Rundschau. Kinkladze schrieb: "Diego MARADONA:Den Namen des größten Fussballers aller Zeiten sollte man wenigstens richtig schreiben können!" Ein Rüffel für meine falsche Schreibweise, die ich nachträglich korrigierte. Maradona schreibt sich "Maradona" und nicht etwa "Maradonna". Vielleicht dachte ich zu sehr an eine kleine "Primadonna", die bekanntlich mit zwei "n" geschrieben wird. Und nicht anders hat sicher der angeblich größte Fußballer aller Zeiten vor dem Duell mit Deutschland aufgeführt.
"Für Deutschland ist die WM zu Ende" oder "Schweinsteiger, bist Du nervös?", hieß es etwa vom Trainer der argentinischen Auswahl. Die deutsche Boulevard-Presse griff dies dankend auf, titelte entsprechend und baute schon vor dem Spiel eine Atmosphäre auf, die dem "Klassiker" Deutschland - Argentinien gerecht werden sollte. Als der stereotypische "Machismo" der Lateinamerikaner wurden diese Gebärden abgetan, aber dazu später mehr. Wir behalten uns das im Kopf, neben der Anekdote aus dem vergangenen März: Maradona weigerte sich nach dem Testspiel in München (0:1), an der Pressekonferenz teilzunehmen, da neben ihm ein gewisser Thomas Müller, damals Länderspieldebütant, sitzen sollte. Maradona empfand dies, ähnlich einer Primadonna, unter seiner Würde. Er hielt Müller für einen Balljungen.
Nun vergehen also keine drei Minuten und dieser Balljunge, heute wieder im Deutschland-Trikot, köpft einen Freistoß auf das argentinische Tor, Torwart Romero greift vorbei und es steht 1:0. Irgendwas läuft falsch in Maradonas Welt. Und auch irgendwie in meiner. Ich sitze auf einem Stuhl vor einer Kneipe zusammen mit einigen Bekannten und kann es nicht glauben. Deutschland führt gegen die "Albiceleste", gegen das Star-Ensemble um den "neuen Maradona" Messi. Eine Standard-Situation und Argentinien ist erst einmal entzaubert. Zum ersten Mal im Rückstand, etwas, mit dem Argentinien bei dieser WM noch nicht konfrontiert war.
Und mit dieser Situation kommt Argentinien schlecht klar. In der Folge versuchen es die "Albiceleste" immer wieder über Messi, doch stets stürzen sich zwei bis drei Gegenspieler auf den Weltfussballer, der notgedrungen den Ball verliert. Seine Kollegen finden ebenfalls keine geeigneten Mittel, meist bleibt es bei halbherzigen Versuchen aus der zweiten Reihe. Auf den Flügeln sind es immer wieder Lahm und vor allem Boateng, die den Argentinien fair die Bälle ablaufen.
In der zweiten Halbzeit stieg die Nervosität. Um mich herum noch überall feierlaunige Schwarz-Rot-Gold-Träger, allein mein Sitznachbar meint: "Das nägschde Tor is für Argentinien." Ähnliches dachte ich mir auch. Fehlpässe der Elf in schwarz und immer wieder Chancen, wenn auch nicht zwingende, für die Argentinier. Dann in der 67. Minute: Müller fällt zu Boden, bekommt den Ball noch zu Podolski, der legt quer auf Klose - 2:0. Jubel, Extase und kein Gedanke mehr den teuren Getränkepreisen: Deutschland ist mit einem Bein im Halbfinale! Und die Argentinier sind nicht einmal motiviert genug, um eine Abseitsstellung von Klose zu reklamieren.
Wenige Minuten später erhöhte Deutschland auf das schier unglaubliche Ergebnis von 3:0, Arne Friedrich der Torschütze, und immer öfter folgten die Einblendungen der argentinischen Auswechselbank, vor der Maradona steht. Und weint. Ein Bild, das man sicherlich noch länger in Erinnerung behalten wird, dazu später mehr. In der 89. Minute stand es gar auf einmal 4:0, als Miroslav Klose in bester Torjäger-Art eine butterweiche Flanke von Özil per Direktabnahme einnetzte. Mittlerweile war es die deutsche Elf, die fast südamerikanisch zauberte.
Zum Abpfiff standen wir, jubelten, feierten, konnten kaum glauben, dass dieses Ergebnis, das da im Fernsehen stand, Realität ist. Wer hätte vor der WM erwartet, dass eine deutsche Mannschaft ersatzgeschwächt, geplagt von Debatten über das "Leischdungsprinzip" und nicht-Nominierte Torjäger, es schafft, das ramponierte Image des deutschen Zerstörerfußballs in der Welt aufzubessern? Ich bin ehrlich, ich hätte es nicht. Dass selbst die englische Boulevard-Presse Lob für die deutsche Mannschaft übrig hat, zeigt, dass unabhängig davon, wie Deutschland bei der WM noch abschneiden wird, in Zukunft vor allem eines der Fall sein wird: Der Respekt vor der deutschen Elf wird nicht mehr überwiegend auf den Namen als "Fußball-Großnation" gründen, sondern auf der anhaltend guten Jugendarbeit, die nun ihre Früchte trägt.
Noch ein Blick zu den Argentiniern und deren Trainer Maradona: Er mag zwar zu den besten Fußballern aller Zeiten gehören, aber als Trainer ist er vorerst gescheitert. Schon in den Gruppenspielen gegen vermeintlich schwächere Gegner entfaltete sich nie das Potenzial der stark besetzten "Albiceleste". Das verwundert nicht: Maradona ist mit über 100 eingesetzten Spielern seit Amtsantritt (Oktober 2008) bereits in die Geschichtsbücher eingegangen. Seine Arbeit zeugt nicht von viel Kontinuität, anders als bei Jogi Löw, dem dieses Festhalten an Spielern oft negativ ausgelegt wurde. Maradona hat es hingegen damit übertrieben und ist mit Deutschland an seine Grenzen gestoßen. Vor diesen Hintergrund bleibt die Frage offen, ob die "Psychotricks" nicht vielleicht Angst und Nervosität des großen Maradona waren. Des großen Maradona, dem die Fußstapfen von César Luis Menotti für immer zu groß sein würden. Eine "Primadona", deren glorreiche Tage der Vergangenheit angehören.
Der "Balljunge", der letztlich Maradona entzauberte, wird aufgrund einer Gelbsperre gegen Spanien leider fehlen. Hoffentlich begegnet man dieser Tatsache nicht mit zuviel Angst und Nervosität.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen